Der Freundeskreis LGS Oberhessen lud für Sonntag, den 25.05., zu einer besonderen Führung ein – Ziel war der Weinberg Jakobsäcker am Ortsrand von Wippenbach. Trotz durchwachsener Wettervorhersage versammelte sich eine interessierte Gruppe am Marktplatz in Ortenberg. Mit dabei waren Bürgermeister Markus Bäckel, Johannes Naumann vom Obst- und Gartenbauverein Ortenberg, Jürgen Stelter, erster Vorsitzender des Freundeskreises, sowie weitere Vorstands- und Vereinsmitglieder.
Geleitet wurde die Tour von Bernd Vielsmeier, einem der Hauptinitiatoren des Projekts Weinberg Jakobsäcker. Die Route führte entlang der Nidder, vorbei am Seltersweiher und von Weitem wurde die neu errichtete Schutzhütte oberhalb des Weinbergs sichtbar.
Am Weinberg angekommen, berichtete Bernd Vielsmeier über die traditionsreiche Geschichte des Weinbaus in Oberhessen. So zählt die Region zu den ältesten Fundstellen fossiler Reben in Europa – erste Funde datieren auf rund 18 Millionen Jahre zurück. Der eigentliche Weinbau wurde jedoch erst von den Römern eingeführt und entwickelte sich bis ins 19. Jahrhundert zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig. Der Wein aus Oberhessen war einst so geschätzt, dass er im 17. und 18. Jahrhundert bei staatlichen Anlässen, etwa bei Krönungen, gereicht wurde. Nach dem Dreißigjährigen Krieg jedoch verlor der Weinbau an Bedeutung. Die Weinberge wurden in pflegeleichtere Streuobstwiesen umgewandelt.


Heute erlebt der Weinberg durch den Obst- und Gartenbauverein Ortenberg eine Renaissance. „Ein Drittel der bereits gepflanzten Rebstöcke gehört zu historischen Weinsorten. Die übrigen Rebstöcke bestehen aus modernen, pilzwiderstandsfähigen und klimarobusten Sorten, die ermöglichen einen nachhaltigen, ressourcenschonenden und biodynamischen Weinbau im Einklang mit der Natur.“ Erklärt Bernd Vielsmeier.
Maria Vielsmeier, Winzertochter aus der Pfalz, gab fachkundige Einblicke in die Pflege der Rebstöcke. Sie erklärte, warum junge Reben derzeit vollständig entblüht werden müssen: „Nur so kann die Pflanze ihre Kraft in ein stabiles Wachstum investieren. Erst im dritten Jahr dürfen erste Trauben geerntet werden – eine anspruchsvolle und zeitintensive Aufgabe, die sich immer über helfende Hände freut.“ Referiert Maria mit einem Augenzwinkern.
Anschließend führte die Route weiter in Richtung Selters. Vorbei an den Salzwiesen – ein Ergebnis des solehaltigen Grundwassers in der Region – erreichte die Gruppe das NABU-Haus Selters. Ein Vertreter des NABU Ortenberg, Dietmar Wäß schilderte eindrucksvoll, mit welchen Herausforderungen die ehrenamtlichen Helfer beim Bau und Erhalt der Anlage konfrontiert sind.
Das Gelände des NABU wird auch Teil der Landesgartenschau Oberhessen 2027 sein und bietet spannende Einblicke in die heimische Flora und Fauna. „Für die LGS wäre es wünschenswert, den Weinberg, das NABU-Gelände und die sehenswerte Altstadt von Ortenberg in einer gemeinsamen Führung zu verbinden, um unseren Gästen eine abwechslungsreiche und informative Route zu bieten“, so Jürgen Stelter.
Nach einer kleinen Stärkung setzt sich der Rundweg in Richtung Ortenberg fort und führt vorbei am ehemaligen Kurgelände in Selters. Auch wenn der historische Kurbetrieb heute nicht mehr existiert und das Areal sich in Privatbesitz befindet, lässt sich der Charme vergangener Zeiten noch erahnen.
Zurück in der Altstadt von Ortenberg führt der Weg vorbei am historischen Rathaus, dessen Ursprünge um das Jahr 1500 liegen. Weiter geht es zur eindrucksvollen Marienkirche, deren Geschichte bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht.
Ein besonderes Highlight ist das kunstvoll geschnitzte Chorgestühl aus den Jahren 1383 bis 1385 – eines der ältesten erhaltenen in Hessen. Der Altarraum wird durch ein dreiteiliges Altarbild aus dem frühen 15. Jahrhundert bereichert, das eindrucksvoll das religiöse Kunstverständnis der Zeit widerspiegelt. Besonders bemerkenswert sind die spätgotischen Gewölbemalereien aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die 1952 freigelegt wurden. Die floralen Darstellungen zeigen Marienkräuter. Der Kunsthistoriker Michael Schroeder erkannte deren Bedeutung und initiierte gemeinsam mit weiteren Engagierten die Anlage eines Kräutergartens an der Kirche.
Auch der Weinbau hat in der Marienkirche seine Spuren hinterlassen: In filigranen Holzschnitzereien und steinernen Ornamenten, etwa in Türrahmen und Säulen, finden sich zahlreiche Hinweise auf diese traditionsreiche Kultur.
Mit seinem beeindruckenden Fachwissen und seiner mitreißenden Art verstand es Bernd Vielsmeier, die Geschichten lebendig und kurzweilig zu erzählen. Zum Schluss war das Bedauern der Teilnehmenden über das baldige Ende deutlich spürbar.
Einen schönen Abschluss fand Die Führung im Café am Obertor bei Yvonne Taddeo mit Kaffee, Kuchen und angeregten Gesprächen. Alle waren sich einig: Ein solch gelungener Tag verdient unbedingt eine Wiederholung.